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Ungeschminkt zur Tankstelle. Ein Rückblick.

Sonntage wie Katersonntage, nur dass sie heutzutage ohne Kater auskommen. Auskommen müssen. Ansonsten alles wie früher: Stille und Denken, weil das Denken in der Stille immer am leichtesten fällt. Nur, dass die Stille jetzt begrenzt ist, eingeschränkt auf zwei, drei, vielleicht vier Stunden, die genutzt werden können. Können – wollen – sollen, abhängig davon, von welcher Seite man es betrachtet.

Nach einer Stunde lege ich das Buch zur Seite und tapse mit eiskalten Füßen in die Küche, schabe mit einem benutzten Kochlöffel am Boden des Topfs entlang, der noch von gestern auf dem Herd steht. Kratze die letzten Reste One Pot Pasta mit Erbsen und Parmesan zu einem Häufchen zusammen, die letzten Nudelreste kleben geschlossen am Topfboden wie eine einzige runde Lasagneplatte, dabei hatten wir doch Rigatoni gekocht. Schichte alles in eine Müslischale um und nehme eine Gabel aus der Schublade. Fast schon eine Verschwendung für den kleinen Rest, die Erbsen hüpfen wieder und wieder von der Gabel, so dass ich dazu übergehe, die Finger zu benutzen. Fingerfood vom Vortag. Eine schöne Alliteration könnte das sein: Vingervood vom Vortag. Oder: Fingerfood fom Fortag. Hm.

 Katersonntage früher, vielleicht doch mehr Unterschiede zu heute als ursprünglich angenommen. Früher: Den langen Katersonntag nehmen, wie er kommt. Aufstehen, irgendwann, anziehen, ungeschminkt zur Tankstelle, ein Kaffee bitte, rausgehen, ans Flussufer setzen, das Notizbuch aufschlagen, drei Worte schreiben, fünfzehn Minuten Löcher in die Luft starren, versuchen, die Kopfschmerzen durch Atemübungen in den Griff zu bekommen, den Nebel im Kopf kurz zur Seite schieben, es anstrengend finden, es aufgeben, vernebelt weitere Worte ins Notizbuch schreiben, viel Blödsinn, zwischendurch Brauchbares, in diesem Moment noch kaum voneinander zu unterscheiden. Ein paar Seiten vollschreiben, zwischendurch Pausen, melancholisches Nachdenken, Herzschmerz, kann ich das wirklich aufschreiben oder ist mir das schon morgen vor mir selbst peinlich, irgendwann das Notizbuch zuklappen, aufstehen, nach Hause gehen, Ende.

Heute: Aufstehen, anziehen, ungeschminkt Windeln wechseln, alberne Lieder singen, durch den Flur hüpfen, auf dem Boden herumkugeln, Küsse verteilen, Küsse bekommen, klebrige Kinderhände im Gesicht. In der Mittagszeit die Ruhe nutzen, beim Lesen etwas gehetzt über die Buchstaben fliegen, das Buch zuschlagen, schnell selbst ein paar Buchstaben hintereinander setzen, ein paar Worte auf dem Bildschirm erscheinen lassen, manchmal ein paar mehr, manchmal gar keine, weil dann doch noch die Wäsche zusammengelegt werden muss, weil der kleine Mensch Aufmerksamkeit verlangt, weil die Lust, aufzustehen und ein Brot für die Woche zu backen, plötzlich größer ist als die, zu sitzen und zu schreiben.

Sonntage, wie man sie nie erleben wollte, wie man sie sich nie ausgemalt hat, damals, an den Katersonntagen. Damals, als man dachte, man wird sowieso alleine bleiben, für immer die einsamen Katersonntage mit sich selbst erleben, sie zelebrieren, als liebgewonnene Tradition, auch in fünf, in zehn, in fünfzehn Jahren noch. Weil man dieses normale Leben, das alle anstreben, wohl nicht auf die Reihe bekommen wird, weil das eigene Leben immer krumm und schief verläuft und nie so linear, wie sich bei anderen immer ein Ereignis ins nächste fügt. Weil man das doch sowieso alles gar nicht will. Und dann: Einmal kurz nicht hingesehen und alles ist ganz neu und alt und schön und warm, und melancholisches Nachdenken, dafür ist meist keine Zeit und noch viel weniger ein Anlass, und seien wir ehrlich, früher oder später nutzt sich das ohnehin ab. Immer dieses Zurückblicken, immer dieses sehnsuchtsvolle Leiden, das grüne Gras auf der anderen Seite des Zauns, wenn wir genauer hinsehen, ist das vielleicht nur ein Kunstrasen, also wenden wir den Blick ein für alle Mal ab und bleiben wir auf unserer Seite des Zauns, wo das Grad vielleicht gleichmäßiger wächst, als man das ursprünglicher geplant hatte, wo vielleicht keine Wildblüten blühen, wo im Gemüsebeet vielleicht die Salatköpfe symmetrisch zueinander aus der Erde wachsen, obwohl man niemals um Symmetrie gebeten hat. Aber es ist unsere Symmetrie, unsere eigene, selbst geschaffene, selbst erdachte, selbst erbaute, ob wir es uns eingestehen wollen oder nicht. Lassen wir sie stehen und betrachten wir sie mit Zufriedenheit, mit Genugtuung, mit dem Gefühl, das Glück gefunden zu haben, ohne ihm jemals hinterhergejagt zu sein. Mit dem Gefühl, dass wir auf der Welt nicht so einsam sind, wie wir es immer zu sein glaubten.

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