Der Sonntag Vormittag im Wildpark. Es ist kalt, als wir ankommen, viel kälter als gedacht. Mit den Atmenwölkchen vor dem Gesicht haben wir nicht gerechnet. 10 Grad, sagt der Wetterbericht, 2 Grad, sagt das Thermometer. Der Parkplatz ist leer, als wir ohne große Eile den Kinderwagen aus dem Kofferraum laden, als wir an der Kasse zwei Eintrittskarten kaufen und gleiche eine Packung Tierfutter mitnehmen, als wir schon beim ersten Meerschweinchengehege stehen bleiben und die Finger zwischen die Gitterstäbe stecken. Als wir weitergehen, um den Ziegen ein paar Maiskörner zuzustecken, sind sie plötzlich da: Andere Familien, andere Kinder, andere Babys. Ich erinnere mich an unseren letzten Besuch hier. Als wir weitergehen, halten wir uns an den Händen und schneiden lustige Grimassen für unser eigenes Baby im Kinderwagen vor uns.
Das ist die Stimmung, jetzt: Dieses fluffig-leichte „Sich-keine-Sorgen-machen-müssen“, das uns umspült und die Füße immer einen halben Zentimeter über dem Boden schweben lässt. An dem wir uns nun schon so lange betrinken und von dem wir noch immer nicht genug haben. Von dem wir doch immer noch einen Nachschlag haben wollen, nach all der Zeit der Entbehrung.
Denn der Melancholie, der Misanthropie sind wir langsam überdrüssig. Nach all den Jahren ermüdender Fahrt im immergleichen Gedankenkarussell plötzlich aussteigen, bei voller Fahrt herausspringen, auf wackligen Füßen landen und langsam loslaufen, nur keine Eile. Und alles was immer nur verschwommen im Fahrtwind vorbei rauschte, steht plötzlich still und wirkt ungewohnt klar, ein scharfes Bild wie mit neuen Kontaktlinsen. Wir nehmen die dunkle Brille ab und schauen direkt ins Licht, unsere Pupillen reagieren langsam, doch dann ist die Welt klar erkennbar. Die Sonne scheint und die Atemwölkchen steigen in den Himmel, verflüchtigen sich im hellen Licht.

Es ist der vierte Advent und die Menschen tragen Sonnenbrillen und ihre Jacken über dem Unterarm. Die Welt scheint aus den Fugen. Die Otter, Kamerunschafe und Hängebauchschweine nehmen es gelassen und strecken die Gesichter in die Sonne. Noch mehr Ziegen drücken sich am Zaun herum und warten auf Mais und Hafer. Erst jetzt merke ich, dass ich der einzige Mensch mit einer Futtertüte in der Hand bin, der älter als 10 Jahre alt ist. Es ist mir egal und ich drängle mich vor andere Kinder, weil ich die bunten Ferkel füttern will.
Das eigene Kind hat mittlerweile genug Tiere gesehen und ist im Kinderwagen eingeschlafen.
Wir gehen weiter.
Wir streicheln Ponys.
Wir streicheln Esel.
Wir gackern mit den Gänsen um die Wette.
Wir beobachten die Wölfe aus der Ferne.
Wir lesen das Schild „Die Wölfe bitte nicht füttern.“
Wir denken keinen einzigen schweren Gedanken. Alles ist leicht, der Wildpark auf Zuckerwatte gebaut.
Wir kommen zum Ausgang, der Parkplatz ist voll, wir verstauen den Kinderwagen im Kofferraum, das Kind gluckst vor sich hin.
3 Grad, sagt das Thermometer. Wir schicken noch ein paar Atemwölkchen in den Himmel, steigen ein und fahren los.